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SEHNSUCHT NACH OST-TECHNIK

Dieses Paar sammelt gemeinsam Ost-Oldtimer

Von Haiko Prengel | Stand: 16.01.2018 | Lesedauer: 5 Minuten

Ein gemeinsames Hobby verbindet: Torsten Bautruk und Marko Ruczynski sammeln gemeinsam Ost-Oldtimer

Quelle: Haiko Prengel

Oldtimer aus dem Osten wurden lange belächelt, inzwischen reifen jedoch auch Barkas, Wartburg und Co. zu anerkannten Klassikern. Ein Paar aus Berlin fährt die Vehikel sogar im Alltag.

Dass der alte Barkas von Torsten Bautruk ein ehrliches Auto ist, sieht man schon an seinem Auspuff. Kein feinporiger, hinterlistiger Feinstaub kommt aus dem Endrohr. Sondern eine stinkende Zweitakter-Fahne, qualmend verbranntes Kraftstoff-Gemisch im Verhältnis 1:50. Dieses Ost-Mobil macht erst gar keinen Hehl daraus, dass es technisch sozusagen aus dem Mittelalter stammt.

Und trotzdem – nein, gerade deshalb mache es ja so viel Spaß, damit zu fahren, erklärt Bautruk. Seine „bessere Hälfte“, wie der 34-Jährige seinen Partner Marko Ruczynski nennt, nickt zustimmend: „Man fühlt sich zurückversetzt in die Kindheit.“ Kindheit, das hieß bei den beiden Ost-Berlin.

Wir treffen uns im Szene-Stadtteil Friedrichshain, am Boxhagener Platz. Wo heute Hipster und Helikopter-Eltern das Sagen haben, regierte früher das ostdeutsche Kleinbürgertum. Es gibt einen gleichnamigen Film („Boxhagener Platz“) aus dem Jahr 2010, der eine schöne Milieustudie über die Normalo-Existenzen in der DDR zeichnet.

„Die perfekte Reiselimousine“, sagt Marco Ruczynski über seinen GAZ-24 Wolga. Früher chauffierte das Sowjet-Fabrikat hochrangige Flugreisende zum nächsten Hotel

Quelle: Haiko Prengel

 

 

Aber ganz gleich, ob man im Arbeiter-und-Bauern-Staat im Herzen sozialistischer Idealist, Dissident oder Mitläufer war – an den BarkasB1000 können sich alle noch erinnern. Sanitäter, Feuerwehr, Polizei, Stasi – der Transporter war praktisch überall im Einsatz. „Das war der Bulli des Ostens“, betont Torsten Bautruk.

Er selbst war noch ein kleiner Steppke, als die Mauer fiel. Heute ist er Geschäftsführer eines Hausmeister-Services, der sich um verschiedene Immobilienobjekte in der stark wachsenden Hauptstadt kümmert. Für solche Arbeiten braucht man ein Auto mit viel Platz – und da kam der Barkas B1000 ins Spiel. Bautruks Exemplar, Baujahr 1975, ist nämlich eine Pritsche, wie sie einst bei unzähligen Baufirmen im Einsatz waren.

Der Berliner schlägt die graue Plane zurück, darunter verbirgt sich eine stattliche Ladefläche. Das Besondere am Barkas B1000: Bei der Zuladung übertraf der Ost-Bulli den Rivalen aus dem Westen. Während Volkswagens T1 nur rund 900 Kilogramm habe stemmen können, verkrafte der Barkas über eine Tonne, schwärmt Torsten Bautruk.

Barkas als fahrende Visitenkarte

Dafür war der Barkas zumindest für heutige Verhältnisse hoffnungslos untermotorisiert. Drei Zylinder werkeln im zwischen Fahrer- und Beifahrersitz eingebauten Wartburg-Motor, die maximale Leistungsstärke liegt bei 46 PS.

Trotzdem sei das „Arbeitstier“, von 1961 bis 1990 praktisch unverändert gebaut, ein Exportschlager gewesen, erklärt Barkas-Fan Bautruk. Nicht nur in die sozialistischen Bruderländer Ungarn, Bulgarien oder Tschechoslowakei, sondern gegen Devisen auch nach Frankreich oder in die Niederlande wurde der Ost-Bulli geliefert.

Man merkt, hier kennt sich einer aus, dabei pflegen Torsten Bautruk und Marko Ruczynski ihr Oldtimer-Hobby noch gar nicht so lange. „Alles fing damit an, dass ich mich vor zwei Jahren nach einem Stück Ost-Technik gesehnt habe“, erzählt Ruczynski. Da habe Torsten sofort ganz laut geschrien: „Dann hätte ich gerne einen Barkas für meine Firma!“ Denn so ein Oldtimer eignet sich prima als Aushängeschild und fahrende Visitenkarte.

Zu den technischen Higlights gehören Lamellen im Kühler, die sich im Winter verschließen lassen. Dann wird der Motor schneller warm

Quelle: Haiko Prengel

 

Also machte sich das Paar auf die Suche auf den einschlägigen Gebrauchtwagenportalen, als Erstes stießen sie dabei aber auf einen Lada 21011, auch Shiguli genannt. Der Lizenz-Nachbau des Fiat 124, Auto des Jahres 1966, stand in der Nähe von Chemnitz zum Verkauf.

Das Ehepaar Bautruk/Ruczynski fuhr hin und kaufte den Wagen. Zufällig stand dann nur 30 Kilometer entfernt der blaue Barkas zum Verkauf. Also fuhren die beiden Oldtimer-Novizen hin und kauften auch kurzerhand noch den Ost-Bulli. Innerhalb eines Tages waren die zwei zu Oldtimer-Sammlern geworden.

Inzwischen sind es sogar vier Ost-Klassiker, die die beiden unterhalten. Hinzu kam vor einigen Monaten nämlich noch ein GAZ-24 Wolga, mit dem Marko Ruczynski heute am Boxi aufgekreuzt ist. Die Sowjet-Limousine prägte in der DDR vor allem als Taxi das Straßenbild.

Noch sind die Preise recht moderat

Ruczynskis Wolga kommt allerdings aus der Ukraine und soll dort in Diensten der ehemaligen Staatsfluggesellschaft Interflug hochrangige Gäste vom Flughafen zum Hotel befördert haben. Und seit Sommer 2017 komplettiert schließlich noch ein jugoslawischer Zastava 1100 die kleine Sammlung, in den Siebzigern ein Lizenzbau des Fiat 128.

Lada und Zastava stehen gerade in der Tiefgarage. Indes haben Barkas und Wolga auf dem Boxhagener Platz längst eine Traube Schaulustige angezogen. „Ist das ein M17“, fragt ein älterer Herr und bestaunt die sowjetische Reiselimousine. „Das ist ein M24“, antwortet Marko Ruczynski auskunftsfreudig. Der ältere Herr nickt staunend. „So einen habe ich das letzte Mal vor 30 Jahren gesehen.“

Ja, inzwischen finden auch Ost-Oldtimer breite Anerkennung und erfreuen sich wachsender Popularität. Das liegt vor allem daran, dass sie selten geworden sind. „Für einen guten Wolga muss man schon 15.000 bis 20.000 Euro hinlegen“, sagt Ruczynski, der an seiner alten Ost-Limousine besonders die weiche Federung schätzt – dank Blattfedern. Selbst der Trabant, nach der Wende in Waldstücken und auf Müllhalden entsorgt und lange Zeit automobile Witzfigur, erlebt eine ansehnliche Wertsteigerung.

Gut erhaltene Wolgas wie dieser GAZ-24 im Originalzustand sind selten geworden und dementsprechend bei Sammlern begehrt

Quelle: Haiko Prengel

 

 

Und der Barkas B1000? Ehrlich ist er auch deshalb, weil die Preise für ihn am Boden geblieben sind – trotz seiner Seltenheit. Während für den technisch nicht besseren VW T1 inzwischen Mondpreise aufgerufen werden (über 100.000 Euro für einen Samba) – bekommt man gute Barkas teilweise noch für vierstellige Beträge. Insgesamt verzeichnen aber auch Ost-Oldtimer einen deutlichen Rendite-Zuwachs.

Ins Museum stellen wird Torsten Bautruk seinen hellblauen B1000 deshalb aber nicht, im Gegenteil: Der Ost-Bulli aus Berlin-Friedrichshain soll auch künftig das ganze Jahr über gefahren werden, wie der 34-Jährige versichert – schließlich sei der Barkas ein Arbeitstier: „Der muss getreten werden.“

Mehr Wohnzimmer als Cockpit: Sogar eine Mittelarmlehne gehörte zu den Annehmlichkeiten im Wolga. Auf dem Handschuhfach kleben noch Embleme der Ex-Fluggesellschaft Interflug

Quelle: Haiko Prengel

 

 

Bulli des Ostens: Der Barkas B1000 prägte in der DDR über Jahrzehnte das Straßenbild. Heute ist er selten geworden

Quelle: Haiko Prengel

 

 

Pritsche statt Multivan: Platzprobleme hat Torsten Bautruk mit seinem geräumigen Barkas nicht

Quelle: Haiko Prengel

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